M M M M 89
5.442,195 Km
12. August 1989
Wir schreiben das Jahr 1989. In der Sowjetunion regiert Michail Gorbatschow mit Glasnost und Perestroika und in Bad Ischl planen Franz L. (Lolo) und Robert B. (Bobi) die Teilnahme am Moskau-Marathon. Als zusätzliche Herausforderung überlegen sie eine Anreise am Landweg - fliegen kann ja schließlich jeder! Einer der ersten Vorbereitungsschritte führt die beiden zur Österreichisch-Sowjetischen-Gesellschaft in Salzburg wo sie folgendes erfahren: Individualreisende mit eigenem PKW dürfen zwar in die UdSSR einreisen, müssen aber alle Hotels im Vorhinein buchen und bezahlen. Zusätzlich muss ein genauer Routenplan vorgelegt werden, wobei die Höchstdistanz pro Tag auf 400 km beschränkt ist und für Touristen absolutes Nachtfahrverbot gilt. So richtig verlockend erscheint das eigentlich keinem der Reiseteilnehmer. Am sowjetischen Konsulat bekommt Lolo den Tipp, die Nurmis von einem sowjetischen Sportverein zum Moskau Marathon einladen zu lassen. Bedingung ist eine Gegeneinladung an russische Sportler zu einer entsprechenden Veranstaltung in Österreich. Ist das die Lösung ?? Frohen Mutes wird derweil ein passendes Nurmis Enkel-Transparent gebastelt - in russischer Sprache versteht sich. Knapp zwei Wochen vor dem Marathon gibt es aber immer noch keine Einladung. Leicht enttäuscht und ohne weitere Mitstreiter buchen Lolo und Bobi nun doch die Flugreise. Kaum gebucht überschlagen sich dann die Ereignisse: eine Einladung von "Moskum Sport" ist da, Flug wieder stornieren, weitere Reiseteilnehmer rekrutieren bzw. motivieren, Leihwagen suchen, Reiseroute planen und - vielleicht noch etwas trainieren. Ein plagender Gedanke führt Bobi kurz vor der Abreise noch einmal zum sowjetischen Konsulat: "Keiner spricht russisch, wie erklären wir den Russen was wir hier tun?". Kurzerhand wird ein amtliches Papier oder besser gesagt ein Dekret angefertigt, dessen Wert zu diesem Zeitpunkt noch niemand abschätzen kann.
Dienstag nachmittag, der 8.8.1989. Es kann los gehen! Ein neuwertiges Fahrzeug der Fa. Buchbinder, Marke Ford Transit, wurde angemietet - natürlich ohne anzugeben, dass damit eine Reise nach Moskau geplant ist. Andreas L. alias Ribisl, Hans L. vulgo Li, Lolo und Bobi als Läufer sowie Brigitte G. und Roland M. als Betreuer machen sich mit viel Reiseproviant (denn man kann ja nie wissen) auf den Weg. Über Langwies (hier geben Brigittes Walkman-Batterien ihren Geist auf), Wien und Budapest erreicht man im Morgengrauen des 9.8. die sowjetische Grenze. Die mitgebrachten Schwarz-Rubel wurden natürlich bereits vorher raffiniert unter der Fußbodenabdeckung versteckt. Die Grenzformalitäten sind relativ schnell erledigt und schon befindet man sich in der Sowjetunion. Mit gemischten Gefühlen wird der endlose Grenzstau meist polnischer Fahrzeuge in der Gegenrichtung wahrgenommen. Es geht Nonstop weiter, nur für Pinkel- und Tankpausen (Negativrekord 64 Oktan) wird die Fahrt unterbrochen. Gelegentliche Anhaltungen durch uniformierte Organe können durch Vorweisen des Dekrets, immer öfter auch Freibrief genannt, bravourös gemeistert werden. Die Route führt über Cop, Ushgorod, Lvov, Rovno, Kiev, vorbei an Tschernobyl nach Moskau, das man schließlich am Donnerstag nachmittag erreicht.
Nahe dem Roten Platz steht das Hotel Rossija, ein etwas größeres Hotel mit 3200 Zimmern, als Unterkunft bereit. Das Schlangestehen vor den Buffets und Volksküchen im Hotel und das schlechte Essen können die gute Stimmung nicht trüben. Beim Frühstück stellt sich dann heraus, dass sich die Nurmis dank der Einladung von "Moskum Sport" nirgends anstellen müssen. Man genießt Vollpension in Speisesälen mit spätkommunistischem Ambiente und ebenso freundlicher Bedienung, abends - besonders nobel - mit Live-Musik. Der Freitag wird mit notwendigen Formalitäten (Anmeldung, Startnummern organisieren, etc.) sowie mit Sightseeing in und um den Kreml verbracht. Am Roten Platz läuft den Nurmis ein nicht ganz unbekannter amerikanischer Rockstar über den Weg. Bon Jovi spielt an diesem Wochenende im Moskauer Olympiastadion auf.
Am Abend vor dem Marathon wird noch ein Nurmis Enkel typischer Verpflegungs- und Betreuungsplan ausgeklügelt, auf dem die speziellen Versorgungswünsche der 4 Ausdauersportler festgehalten sind. Samstag, 12. August: Wegen der hohen Temperaturen im russischen Sommer ist der Start des Marathons auf 16.00 Uhr angesetzt. Man hat also viel Zeit und verbringt den Tag ereignislos in nervöser Erwartung. Mehr als 16000 Läufer aus 25 Ländern sind am Start und die Betreuer Brigitte und Roland können nicht wenige Kuriositäten beobachten: Marathon laufende Männerchöre, welche die komplette Strecke singend bewältigen, Läufer in Wikinger-Rüstungen, Barfußläufer und vieles mehr. Die Laufstrecke führt im Wesentlichen entlang beider Seiten der Moskwa, vorbei an so manchen Sehenswürdigkeiten bzw. Monumentalbauten bis zum Halbmarathon-Wendepunkt. Dort angekommen ist ein Klettetikett von einer der beidseitig getragenen Textil-Startnummern zu lösen und als Durchgangsbeweis in ein große Schachtel zu werfen. Von hier aus geht's die gleiche Strecke wieder zurück bis ins Ziel vor dem Olympiastadion. Die brütende Hitze über der Stadt macht den Läufern zusätzlich zu schaffen. Bobi wirft nach 33 km das Handtuch. Lolo und Ribisl bleiben weit unter ihren Möglichkeiten und erreichen nach 3:24 bzw. 3:50 Stunden das Ziel. Li geht fast über seine Grenzen, verliert auf den letzten Metern noch seine letzten Nahrungsreserven und schafft seinen ersten Marathon in genau 4 Stunden. Im Zielbereich kommt es dann noch zu völkerverbindenden Tauschszenen: Auch Lolo ersteht ein paar hocharomatische russische Laufschuhe. Der Wettkampftag wird mit einem Abendessen im Hotel Rossia beendet. Man verbringt noch einen Tag in Moskau mit Einkaufen im Kaufhaus Gum, Stadtbummel inkl. Gorkipark und Moskauer Nachtleben im Moskwa 2000. Erstaunlich sind dort die hohen Bierpreise dank eines sehr ungünstigen Rubel-Dollar-Zwangswechselkurses. Einige glauben an der Bar einen gewissen Herrn Udo Proksch zu erkennen.
Am Montag gibt es vor der Basilius-Kathedrale noch einen Fototermin, wobei ein unerwartetes Problem auftritt: Li
gesteht, dass er einem Auslandsreiseverbot seines Arbeitgebers (Fa. AMS) unterliegt und er nicht vor die Kamera will.
So entsteht eben ein Presse- und ein Vereinsfoto. Gegen Mittag wird die Heimreise angetreten. Diesmal führt die
Route über Smolensk, Minsk und Brest, weiter Richtung Süden über Lvov und Ushgorod. Diese Strecke erweist
sich als einfacher und angenehmer als die Route der Anreise. Eine vermutlich noch bessere Variante über Polen
scheidet wegen des dort herrschenden Visumzwanges aus. Als Reiseeindrücke bleiben unter
anderem ein verunfallter Motorradfahrer und gegrilltes Fleisch undefinierter Herkunft mit
ekeligem Geschmack in Erinnerung - ein möglicher Zusammenhang wird heftig diskutiert. Bei der Anfahrt zur
Grenze verschenkt Lolo die letzten Rubel an Kinder neben der Straße - für die Leute dort ein Haufen Geld.
Wenig später stoßen die Nurmis wieder auf einen ca. 20 km langen Polenstau. Hier hilft ein letztes Mal das
Dekret, dessen Kernausage so ähnlich
lauten dürfte wie: "Die Inhaber dieses Papiers dürfen (fast) alles". Mit mulmigem Gefühl passiert man die
schier endlose Kolonne und erspart sich garantiert 2 Tage(!) Grenzwartezeit. Zurück in Ungarn fühlen sich alle
wieder so wie im Westen. Abends Essen und Nächtigung in Tiszafüred mit schwerer Moskitoplage. Am nächsten
Tag gelangt die Gruppe nach einer unfreiwilligen Budapestrundfahrt (Li, zeitweise auch Ilja genannt, erfindet
den Begriff "Polyrack") wieder nach Österreich und erreicht am Nachmittag Bad Ischl.
Zum Wolfgangseelauf im Oktober kommt tatsächlich eine Delegation Moskauer LäuferInnen vom Verein Moskum Sport -
aber das ist eine andere Geschichte . . . . .