20th New York City Marathon
5. November 1989
In den frühen Novembertagen des Jahres 1989 spielen sich im guten alten Europa rund um den Fall der Berliner Mauer wahrhaft historische Ereignisse ab. Aber auch die neue Welt erlebt zu dieser Zeit durchaus Geschichtsträchtiges: Nurmis Enkel betreten erstmals amerikanischen Boden! Wie konnte es dazu kommen? - Der junge und noch voller Tatendrang steckende Verein sucht neben dem Moskau-Marathon noch ein weiteres Ziel. Was liegt da näher als New York, und das - rückblickend betrachtet - ausgerechnet zum Ende des kalten Krieges.
Ohne die Dienste eines Reiseveranstalters in Anspruch zu nehmen versucht man bereits im Frühjahr Kontakt zum Rennbüro herzustellen. Die daraufhin erhaltenen Anmeldeunterlagen werden mit garantierten Bankschecks ($30/Nase) retourniert und siehe da: "it works"! Mit den zugesicherten Startplätzen in Händen fehlt nur noch die Flug- und Hotelbuchung. Und hier zeigt sich wieder die unglaubliche Individualität der Nurmis Enkel: Gleich mit drei verschiedenen Flügen wird der grosse Teich überquert - in der offiziellen Version aus Sicherheitsgründen. Also treffen dann am 1. November der Reihe nach ein: Die Marathonis Franz T., Robert B. (Bobi), Wolfgang M. (Tschonni) und Franz L. (Lolo) wobei die beiden Letztgenannten von ihren Angetrauten Lydia und Andrea begleitet werden. Andreas und Heidi K. stoßen dann als Verstärkung des Fan-Clubs noch etwas später dazu. Leichte Überbuchungsprobleme im Hotel Milford Plaza erfordern eine Trennung der Gruppe und so weichen 3 Nurmis ins nahegelegene Howard Johnson aus.
Schon während der ersten Stunden in der hektischen und lauten Großstadt zeichnet sich ein Lichtblick ab und dieser Lichtblick heißt "Smith". Diese an der Ecke 44th/8th gelegene Bar sollte sich in den nächsten Tagen als Auffanglager, Treffpunkt und Frühstücksort etablieren und das trotz gelegentlicher Kakerlakenattacken. Am Donnerstag steht dann eine Trainingseinheit oder besser gesagt ein gemütliches Läufchen durch den Central Park auf dem Programm. Anschließend gibt's ein erstes Sightseeing mit krönendem Abschluss auf dem Oberdeck des World Trade Centers. Die Aussicht auf die nächtliche Metropole ist wirklich grandios. Der nächste Tag führt die Nurmis u.a. zur Marathon Expo Hall im Sheraton Centre Hotel. Dort angekommen traut man seinen Augen nicht. Zum Abholen der Startunterlagen samt diversem Werbekram ist vorher praktisch der gesamte Hotelkomplex schlangestehend zu umrunden. Läuferisch klug, charakterlich schwach drängen sich die Vier begleitet von heftigen Ami-Protesten etwa 10 m vor dem Eingang in die Warteschlange. Nachmittags gibt es ein Treffen mit Franz Bergmann, dem Schöpfer des genialen Vereinslogos. Franz werkelt gerade als Restaurator in New York City. Von ihm erhält die Gruppe auch wertvolle Nightlife-Tipps, welche abends gleich in die Tat umgesetzt werden - Stichwort: "CBGB".
Samstag Früh findet der traditionelle Breakfast-Run statt. Am Treffpunkt, den Grünanlagen des UNO-Hauptquartiers, bleibt noch etwas Zeit für diverse Foto-Shootings. Doch die dafür gesuchte Austria-Tafel ist schon in anderen Händen - haben sicher Weana oder gar Zusserer genommen! Kurzerhand wird mit den noch freien und ungenutzten Nationen-Tafeln von Yugoslawien und Hongkong posiert. Der anschließende, etwa 6 km lange Lauf führt durch kalte und windige Häuserschluchten bis hin zum heißersehnten Frühstückstisch im Central Park. Doch nicht zu früh gefreut. Wiederum erwartet die Läufer eine schier endlose Warteschlange. Wenige Ausgabestellen für einige tausende Leute zeugt einmal mehr von wirklich mieser Organisation. Nach mehr als halbstündigem Warten verabschieden sich die Nurmis mit leerem Magen und suchen Trost und Futter bei Smith. Der Nachmittag bringt eine gemütliche Manhattan-Bootsrundfahrt über East- und Hudsonriver. Einfach ideal um die sensiblen Läuferbeine zu schonen und trotzdem etwas zu sehen und zu erleben.
Der große Tag rückt näher. Die letzten Vorbereitungen werden getroffen. Angesichts der zu erwartenden
kühlen Vorstartbedingungen stöbern Lolo und Bobi noch im Flohmarkt an der Canalstreet, wo sie um je
2 $ durchaus adrette Wegwerfkleidung erstehen. Franz T., vom Hotelpersonal liebevoll Mr. Trisch genannt,
entschließt sich zu einem "Long Distance Call" um seiner heißgeliebten Maria die neuesten Erlebnisse
aus dem Big Apple mitzuteilen.
Sonntag, 5. November - es ist endlich soweit: Frühmorgens um 7 geht's per Autobus hinaus nach Staten Island.
Dort angekommen passiert einmal nichts, ungefähr 3 Stunden lang. Praktisch das gesamte Starterfeld (knapp
25000) wird auf einem betonierten und abgesperrten Platz bei zarten Plusgraden zum Herumhängen vergattert.
Eine ca. 100 m lange Pissrinne ist ein nicht alltäglicher Blickfang und Entladestation für so manch übervollen
Kohlehydratspeicher. Bevor es für die nervösen Marathonis um 10:40 a.m. endlich losgeht, wird noch ordentlich
aufgewärmt. Dann geht es hinein ins Gedränge. Die erste Meile führt auf
3 Fahrbahnen über die zweistöckige Verrazano Narrow Bridge,
wobei sich diese getrennten Spuren erst nach 2 bzw. 8 Meilen vereinen. Von richtigem Laufen kann wirklich
erst nach Verlassen dieser gigantischen Brücke gesprochen werden.
Der Streckenverlauf führt durch alle 5 Stadtbezirke
beginnend in Staten Island über Brooklyn, Queens, Manhattan, Bronx und wieder zurück nach Manhattan.
Schon auf den ersten Meilen in abgefuckten Arbeitervierteln ist die enorme Begeisterung der Zuschauer spürbar.
Die Fans säumen dichtgedrängt den Straßenrand und fordern die Läufer des öfteren zum Abklatschen auf,
was Lolo jedoch wörtlich "voll anzipft". Kurz nach Halbmarathondistanz passieren die Läufer die, ob ihrer
unscheinbaren Steigungen gefürchteten Brücken über den East River. Kaum in Manhattan, gibt's dann ein freudiges
und eher zufälliges Hallo mit dem Nurmis-Enkel-Fanclub, bevor es auf eine schier endlose, 6 km lange
Gerade über die 1st Avenue geht. Apropos Kilometer: km-Schilder sind äußerst selten anzutreffen -
allfällige Kräfteeinteilung erfolgt über Meilenumrechnung - die Gesamtstrecke beträgt 26 Meilen und 385 Yards.
Von den morgendlichen Frostgraden erholt, leiden mittlerweile nicht wenige Athleten unter einer etwas zu warm
gewählten Laufbekleidung. Der weitere Streckenverlauf bringt die Läufer in die sehr friedlich wirkende
Bronx um gleich anschließend wieder nach Manhattan zurückzukehren. Bei etwa Km 38 beginnt der hügelige und
die letzten Kräfte raubende Abschnitt durch den Central Park. Von einer gigantische Zuschauerkulisse
(die Rede ist von insges. 2 Mio.) getragen, erreichen alle vier das ersehnte Ziel und das auch mit ganz
passablen Zeiten (Lolo 3:35, Bobi 3:47, Franz 3:52 und Tschonni 3:56). Und wie könnte es anders sein:
Hinter der Ziellinie die nächste Queue! Nicht alle haben die Ausdauer und kehren zum Teil ohne Labung
zumindest aber mit Medaille ins Hotel zurück.
Dort passiert Mr. Trisch eine nette Episode: Völlig entkräftet bestellt er beim
Zimmerservice: "a [sap] please". Unverständnis am anderen Ende der Leitung. Auch mehrmaliges Wiederholen der
Bestellung hilft nicht weiter. Resignierend meint er schließlich: "a Suppn mog i", worauf das Gegenüber
auch versteht: "Oh yes, a soup!". Problem gelöst - Suppe kommt. Abends ist dann Zeit für jede Menge
Erlebnisaustausch und ungebremste Feierstimmung. Am Montag werden noch einige Touristenmagneten wie
Emipre State Building, Hardrock-Cafe und China Town abgeklappert. Franz T. begutachtet auch die Central
Station, wo er sagenhafte 54 Geleise auf 2 unterirdischen Etagen zählt.
Und wer jetzt glaubt die 8 Nurmis-Enkel-Marathon-Touristen fliegen wieder mit drei
Flugzeugen zurück, der irrt - diesmal sind es gleich vier! Lolo flittert mit seiner Andrea nach Mexico,
der Rest der Gruppe reist so getrennt wie er gekommen ist im Lauf der Woche zurück in die Heimat.
Alles in allem, ein sehr gelungener Vereinsausflug.