XI. Helsinki City Marathon
Reise in Opas Heimat
10. August 1991
Wer schon den Namen Nurmi im Vereinsnamen führt, für den ist es auch nahe liegend einmal an einem Marathonlauf in dessen Heimat Finnland teilzunehmen. Kaum ist die Idee geboren, wird auch schon fleißig an der Umsetzung geplant, wobei man sich wieder einmal nicht nur auf den sportlichen Aspekt der Unternehmung beschränken will. Ähnlich der legendären Moskau-Reise, kommt wiederum nur ein selbstorganisierter Trip auf dem Landweg in Frage - auch die Teilnehmer unterscheiden sich kaum.
Mittwoch frühmorgens, der 7. August 1989 - es geht los. Die Marathonis Andreas L. auch
Ribisl genannt, Franz L. vulgo Lolo und Robert B. alias Bobi sowie deren Betreuer
Brigitte G. und Roland M. machen sich von Salzburg aus per Eisenbahn auf den Weg.
Über München, Hamburg und Lübeck erreicht die Gruppe am Nachmittag schon ziemlich gut
gelaunt den Zielbahnhof Travemünde Hafen.
Und eben dort wartet auch schon das nächste Transportmittel,
die "GTS FINNJET" - ein riesiges Fährschiff, ganze 60 km/h schnell.
Am frühen Abend stechen die Nurmis in (Ost)See. Zusammen mit zahlreichen finnischen
Fahrgästen, welche die Reise für exzessiven Alkoholkonsum nutzen geht's Richtung
Helsinki. Als preisgünstige Schlafgelegenheit stehen sogenannte "Couchetten" zur Verfügung.
Die allgemeine Onboard-Beschäftigung (siehe beiliegende Aufnahme) ist als weniger
marathonfreundlich einzustufen, dafür aber mit erhöhtem Freizeitwert.
Nach 22-stündiger Überfahrt gilt es gleich den Wahrheitsgehalt der Gerüchte über die
exorbitant hohen Bierpreise in Festland-Finnland zu überprüfen. Und wirklich: Ein Bier
kostet tatsächlich umgerechnete 70 Schilling (3-facher Katz-Preis!). Aber nach Lolos rettendem Kommentar
"Wir sind ja keine Bettler", werden gleich noch zwei weitere Runden bestellt. Anschließend
ist man gut gerüstet zur letzten großen Aufgabe dieses Tages - die Suche nach einem gewissen
Kesähotelli in der Lapinrinne. Diese relativ zentral gelegene Unterkunft ist ein im Sommer als
Jugendhotel geführtes Studentenheim.
Am nächsten Tag stehen die üblichen Anmeldeformalitäten sowie eine erste kleine Stadtbesichtigung
auf dem Programm. Natürlich wird da gleich einmal das Paavo Nurmi Denkmal am Vorplatz des
Olympiastadions angesteuert und für ein entsprechendes Gruppenfoto ins Visier genommen.
Bei Helsinki, so entsteht bald der Eindruck, handelt es ich um eine eher verschlafene Stadt
(1/2 Jahr tut sie es wirklich) mit wenigen Highlights. Auffallend sind apothekenähnliche Läden, die nur
dem kontrollierten Verschleiß von Alkoholika dienen. Mit der Olut-Skala (sprich Ölut) macht man sich als
bald vertraut und kann damit allfällige Bierbestellungen wesentlich besser formulieren - ein Tipp:
nichts unter Stufe 3 anfassen! Am Abend lädt der Veranstalter zur traditionellen "Spagetti Måltid"
und serviert Dinge die bei uns Makkaroni heißen. Aber dann, es ist Samstag - Marathontag. Eine weitere
Parallele zur legendären Moskau-Reise drängt sich auf: Der Start ist am späten
Nachmittag, wie soll man möglichst sinnvoll und schonend den Tag verbringen, wieviel Essen und Trinken ?
Egal, um 16:30 fällt für die rund 5000 Teilnehmer der Startschuß zum 11. Helsinki City Marathon-Loppet.
Die Strecke führt vom Vorplatz des Olympiastadions durch eine
langweilige und hügelige Gegend in die Innenstadt, um nach einer kleinen Schleife durch selbige Gegend
wieder zurückzukehren. Auf den Spuren der Olympioniken von 1952 bietet der Einlauf ins Stadiumsoval
jedoch ein beeindruckendes Finish. Bei brütender Hitze passen die bescheidenen Ergebnisse zum Gesamteindruck
der Veranstaltung. Ribisl absolviert die Strecke in 3:43, Lolo in 3:58 und Bobi braucht gar 4:13.
Tags darauf ist noch einmal Stadtbesichtigung angesagt. Mit Leihrädern inkl. einem Tandem wird der
Aktionsradius entscheidend vergrössert. Bobi klagte immer häufiger über Zahnschmerzen und muß schließlich
am Montagmorgen einen Zahnarzt aufsuchen. Nachdem dieser fertig gebohrt hat gilt es ein Mietauto zu
organisieren. Dabei stellt sich folgender fataler Umstand heraus: Ribisl hat als einziger seinen
Führerschein dabei, also darf nur er das Auto fahren. Seine verwegenen Fahrkünste sind von der legendären
Moskau-Reise her bekannt... Was soll's, ein vollbesetzter weißer VW Golf macht
sich auf den Weg Richtung Norden. Das erste Ziel heißt Lahti.
Die Schisprunganlagen sowie der Fernblick vom höchsten Anlaufturm hinterlassen einen bleibenden Eindruck.
Der weitere Weg führt zu einem Camp an einem großen, ruhigen, von Fichtenwäldern umgebenen See,
wo man die Nacht in einer kleinen Holzhütte verbringt.
Wieder heil zurück in Helsinki, versuchen die Fünf sich im Hafen zurecht zu finden. Schallendes Gelächter.
Lolo erfährt am CheckIn-Schalter, dass die Nurmis keine Kabine gebucht haben und infolgedessen die nächsten
38 Stunden an Deck zu Hause sind. Das Deck gehört zur MS Pomerania, später immer öfter auch Pommeranze genannt,
einem kleinen polnischen Fährschiff, ganze 25 km/h schnell. Mit an Bord sind auch wieder zahlreiche finnische
Fahrgäste, die das Ganze hauptsächlich für exzessiven Alkoholkonsum nutzen. Nach einem kurzen Anlegemanöver in
Schweden und zwei entspannenden Tagen auf der Pommeranze ist endlich wieder Land in Sicht. Vorbei an der
Lenin-Werft erreicht man Danzig. Mit einem überraschend pünktlichen Schnellzug geht's ohne große Unterbrechung
gleich weiter Richtung Warschau. Dort angekommen, muss Roland einer schimpfenden und tobenden Klofrau 1 Sloty
schuldig bleiben - sie kann ihm auf 100 D-Mark nicht herausgeben. Das Finden einer geeigneten Unterkunft ist
schwieriger als angenommen, da auch ein gewisser Karel Wojtyla alias Johannes Paul II in der Gegend weilt.
Da man aber für italienische Papst-Touristen gehalten wird, bekommt man dann doch eine Bleibe für die Nacht -
in einer Privatwohnung zwischen Regalen voller Gläser mit eingelegten Gurken. Was anschließend folgt, ist
eine sehr peinliche Schwarzgeldwechselpanne, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Mit amtlich
gewechselten Sloty steht dann aber einer Stadtbesichtigung und einer angemessenen Abendgestaltung nichts
mehr im Weg. Am folgenden Tag, es ist Freitag der 16.8., bleibt noch Zeit für einen Museumsbesuch sowie
einen Bummel durch die Warschauer Altstadt bevor es am Abend weiter geht. In einem von Katholiken völlig
überfüllten Zug geht es im Schlafwagen ab in Richtung Österreich. Über Czestochowa, Ostrava und Wien erreicht
man irgendwann im Laufe des Samstages heimatliche Gefielde und blickt auf eine einzigartige Reise zurück -
Kategorie: Marathontourismus vom Feinsten.